Schönheit ist ein Glanz, den die Liebe verleiht, um das Auge zu täuschen. Deshalb kann man sagen, dass das Auge nur dann keine Schönheit sieht, wenn das Herz ohne Liebe ist. Jack Vance, Die sterbende Erde

Trullion: Alastor 2262

Trullion: Alastor 2262
USA, 1973
Übersetzt von Andreas Irle
240 Seiten, eine Karte
Spatterlight, 2019
ISBN  978-1-61947-299-0
Preis: € 4,99

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Als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, kehrt Glinnes Hulden nach zehn Jahren Dienst beim Whelm zurück nach Rabendary auf Trullion. Einiges hat sich gändert: Sein Bruder Shira wird vermisst, ist wahrscheinlich den Merlingen zum Opfer gefallen. Zu Glinnes’ Verdruss wurde Ambal, ein Stück Familienbesitz, verkauft. Glay, sein anderer Bruder ist zum Fanscher geworden. Er hat Ambal verkauft, um das Geld einem gewissen Junius Farfan zu geben und die Bewegung der Fanscherade zu fördern.

Zudem hat Glay einer Gruppe Trevanyi gestattet, ihr Lager auf Rabendary aufzuschlagen. Nun fangen die Trevanyi an, die alten Balkennussbäume zu fällen …

Glinnes hat allerhand zu tun, um die Dinge zu Hause wieder in Ordnung zu bringen. Vor allem ist ihm jedoch daran gelegen, den Familienbesitz zurückzubekommen. Allerdings fehlt ihm dazu eine nicht unbeträchtliche Geldsumme. Er beginnt, professionell Hussade zu spielen, um in möglichst kurzer Zeit viel zu verdienen …

Trullion: Alastor 2262.  Was für ein Buch! Jack Vance beschreibt die Landschaften, dass einem das Herz aufgeht. Er ist in einer Gegend mit vielen Wasserwegen aufgewachsen, die dem Fenn aus Trullion sehr ähnlich sein muss, natürlich ohne Merlinge.

Die Beschreibung der Stimmungen, die in der Region um die Städte Saurkasch und Welgen herrschen, ist grandios:

Avnis war der Name jener fahlen Stunde unmittelbar vor Sonnenuntergang, einer traurigen, ruhigen Zeit, in der jegliche Farbe aus der Welt gesickert zu sein schien und die Landschaft keine anderen Ausmaße offenbarte als die, welche von den Flächen immer blasser werdender Dunstschleier angedeutet wurden. Avnis, wie auch die Dämmerung, war eine dem Trill-Temperament unsympathische Zeit; die Trill fanden keinen Gefallen an melancholischer Träumerei.

Oder:

Glinnes begann, über seine Jugendzeit nachzugrübeln. Er erinnerte sich an die nebeligen Morgen, die festlichen Abende, das Sternenschauen. Er erinnerte sich an seine guten Freunde und ihre wunderlichen Eigenheiten; er entsann sich des Anblicks des Rabendary-Forsts: die Menanen, welche sich über rostfarbenen Pomandern, silbergrünen Birken und dunkelgrünen Stachelnussbäumen auftürmten. Er dachte an das Schimmern, welches über dem Wasser hing, und die Umrisse des gegenüberliegenden Ufers weicher machte; er dachte an das baufällige alte Familienhaus und stellte fest, dass er großes Heimweh hatte.

Die Schilderungen erfolgen auf effektive Weise unter Aufzählung von Pflanzen und Farben, lassen jedoch Raum für die eigene Fantasie des jeweilgien Lesers, das geistige Bild zu vervollständigen. In Trullion erfindet Vance sogar eine eigene Tageszeit!

Im zweiten Zitat klingt ein Thema an, das Vance seit Beginn der 1970er Jahre immer wieder in seinen Geschichten behandelt: Heimat.

Als er die Nachricht vom Tod seines Vaters erhält, kehrt Glinnes Hulden nach zehn Jahren Dienst beim Whelm zurück zur Insel Rabendary auf Trullion. Einiges hat sich gändert: Sein Bruder Shira wird vermisst, ist wahrscheinlich den Merlingen zum Opfer gefallen. Zu Glinnes’ Verdruss wurde Ambal, ein Stück Familienbesitz, verkauft. Glay, sein anderer Bruder, ist zum Fanscher geworden. Er hat Ambal verkauft, um das Geld einem gewissen Junius Farfan zu geben und die Bewegung der Fanscherade zu fördern.

Zudem hat Glay einer Gruppe Trevanyi gestattet, ihr Lager auf Rabendary aufzuschlagen. Nun fangen die Trevanyi an, die alten Balkennussbäume zu fällen …

Glinnes hat allerhand zu tun, um die Dinge zu Hause wieder in Ordnung zu bringen. Vor allem ist ihm jedoch daran gelegen, den Familienbesitz zurückzubekommen. Allerdings fehlt ihm dazu eine nicht unbeträchtliche Geldsumme. Er beginnt, professionell Hussade zu spielen, um in möglichst kurzer Zeit viel zu verdienen.

Glinnes’ Gedanken beschäftigten sich mit Hussade. Ein Mitglied einer bedeutenden Mannschaft konnte gut und gern zehn- oder sogar zwanzigtausend Ozolen im Jahr verdienen, sofern die Mannschaft häufig spielte und konstant gewann. Lord Gensifer hatte offenbar vor, eine solche Mannschaft zu gründen. Schön und gut, nur dass alle anderen Mannschaften der Region nach dem gleichen Ziel strebten, Ränke schmiedeten, intrigierten, großartige Versprechungen machten, Visionen von Reichtum und Ehre propagierten: alles, um talentierte Spieler anzulocken, deren es nicht viele gab. Ein aggressiver Mann mochte langsam und schwerfällig sein; ein schneller Mann mochte ein unzureichendes Spielverständnis, ein schlechtes Erinnerungsvermögen oder zu wenig Kraft haben, um seinen Gegenspieler baden gehen zu lassen. Jede Position stellte besondere Anforderungen. Der ideale Stürmer war schnell, agil, verwegen und kräftig genug, um mit den gegnerischen Mittelläufern und Hütern fertig zu werden. Ein Mittelläufer musste ebenso schnell und gewandt sein; am wichtigsten war, dass er geschickt mit dem Knuff umzugehen wusste, dem gepolsterten Spielgerät, mit dem ein Gegner von den Wegen und Stegen befördert wurde. Die Mittelläufer waren die erste Verteidigungslinie, auf welche die Stürmer stießen; die Hüter bildeten die letzte. Hüter waren massige, kräftige Männer, die ihre Knuffs mit Entschlossenheit handzuhaben wussten. Agilität war keine ihrer wesentlichen Eigenschaften, da sie nur selten die Trapeze benutzen oder über die Becken springen mussten. Der ideale Hussadespieler vereinigte alle diese Qualitäten in sich; er war kräftig, intelligent, listenreich, behände und erbarmungslos. Solche Männer waren rar. Wie wollte Lord Gensifer es schaffen, eine Mannschaft mit Turnierqualitäten zusammenzustellen? Glinnes beschloss, zum Fleharischfließ zu fahren, um es herauszufinden und bog nach Süden ab in Richtung Fünfinseln.

Vance schildert einige Hussadespiele; Freunde des Mannschaftssports kommen in den Genuss etlicher ausgewähler Spielzüge.  Dass nicht alles nach Plan läuft, bringt das Leben so mit sich. Das betrifft nicht nur Hussade, sondern auch andere Aspekte, die Glinnes Probleme bereiten.

Da wären zum einen die Drossets, die Trevanyi-Familie, die ihre eigene Vorstellung vom Leben hat. Alles wäre unkomplizierter, wenn da nicht die Tochter Duissane wäre …

Er ging hinaus auf die Veranda und blickte zu den Drosset-Zelten hinüber, halb in der Stimmung, sie zu einem Abschiedsfest herüberzurufen oder zumindest Duissane, die zweifelsohne ein faszinierendes Geschöpf war, trotz Jähzorns und allem. Glinnes stellte sich vor, wie sie aussehen mochte, wenn sie guter Laune war Duissane würde jedes festliche Ereignis beleben Eine absurde Vorstellung. Vang Drosset würde ihm beim bloßen Verdacht das Herz herausschneiden.

Zum anderen gibt es die Fanscher, die von Glinnes’ Bruder Glay finanziell unterstützt werden und umwälzende Ziele verfolgen …

Akadie nickte lächelnd. »Du musst verstehen: Fanscherade ist kein Grundsatz für fünf Billionen. Fanscherade ist ein einziger Aufschrei wilder Verzweiflung, die Einsamkeit eines einzelnen Menschen, der in einer Unendlichkeit von Unendlichkeiten verloren ist. Durch Fanscherade trotzt der eine Mensch der Anonymität und weist sie von sich; er beharrt auf seiner persönlichen Großartigkeit.« Akadie hielt inne, dann schnitt er eine ironische Grimasse. »Man könnte beiläufig anmerken, dass der einzige sich verwirklichende Fanscher der Connat ist.« Er nippte am Wein.

Die Sonne war untergegangen; über ihnen hing eine hohe Schicht frostiger grüner Federwolken; im Süden und Norden waren es Strähnen und Fasern in melancholischem Rosenrot, Violett und Zitronengelb. Für eine Weile blieben die beiden Männer schweigend sitzen.

Akadie sagte mit sanfter Stimme. »Das also ist Fanscherade. Nur wenige Fanscher begreifen diesen neuen Glauben; letzten Endes sind die meisten Kinder, die der Faulheit, der erotischen Exzesse, der Unverantwortlichkeit und der schludrigen Erscheinung ihrer Eltern überdrüssig geworden sind. Sie missbilligen Kausch, Wein, Fressorgien, alles, was im Namen des unmittelbaren und impulsiven Erlebens konsumiert wird. Vielleicht ist es ihr Hauptanliegen, ein neues und markantes Bild von sich zu schaffen. Sie kultivieren ein neutrales Erscheinungsbild, nach der Theorie, dass eine Person nicht nach den Symbolen beurteilt werden sollte, für die sie sich entschieden hat, sondern nach ihrem Verhalten.«

Und:

Glinnes ging nachdenklich zum Hauptplatz. Die Gebäude wirkten etwas verwitterter, die Kalepsisranken, welche der Laube vor der Aude-de-Lys-Taverne Schatten spendeten, waren länger und dichter, und – nun, da sich Glinnes die Mühe machte und genauer hinsah – gab es eine überraschende Anzahl von Fanscher-Trachten und von der Fanscherade beeinflusster Kleidung zu sehen. Glinnes schnaubte vor Empörung über die Modehaftigkeit des Ganzen. In der Mitte des Platzes befand sich, wie immer, der Prutanshyr: eine Plattform mit zwölf Metern Seitenlänge und einem Gerüst darauf; seitlich davon war eine Nebenplattform oder ein Standplatz für die Musiker, welche für den Kontrapunkt zu den Bußriten sorgten.

In den vergangenen zehn Jahren waren ein, zwei neue Gebäude hinzugekommen, das bemerkenswerteste davon die neue Herberge Zum Hehren Sankt Gambrinus, die sich auf Menanen-Balken über den ebenerdigen Biergarten erhob, in dem vier Trevanyi-Musikanten für die Leute aufspielten, welche sich zu einer frühen Erfrischung entschlossen hatten.

Heute war Markttag; Obst- und Gemüsehändler hatten ihre Wagen um den Rand des Platzes herum aufgestellt; sie entstammten einheitlich der Wrye-Rasse, einem Volk so abgesondert und ungewöhnlich wie die Trevanyi. Trill aus Welgen und dem Umland schlenderten müßig an den Karren vorüber, begutachteten und wägten, feilschten und kauften gelegentlich auch. Die Landleute konnte man an der Kleidung erkennen: der unvermeidliche Paray mit verschiedenen anderen Gewändern, wie es die Fantasie, Bequemlichkeit, Laune oder der ästhetische Impuls vorschrieb: Einzelstücke von diesem, Kleinigkeiten von jenem; bunte Schals, bestickte Westen, mit seltsamen Mustern geschmückte Hemden; Perlen, Halsketten, klirrende Armreife, Stirnbänder, Kokarden. Die Ortsansässigen hatten weniger eigentümliche Kleidung an, und Glinnes bemerkte einen hohen Anteil an Fanscher-Anzügen aus feinem grauem Material und von elegantem Schnitt, zu denen polierte schwarze Halbstiefel getragen wurden. Einige trugen eng über das Haar gezogene Stulpkappen aus schwarzem Filz. Manche der Trachtenträger waren ältere Leute, selbstbewusst in ihrem stilvollen Putz. Gewiss, dache Glinnes, konnten sie nicht alle Fanscher sein

Ein dürrer, langarmiger Mann in Dunkelgrau kam auf Glinnes zu; er sah ihn betroffen und mit verächtlichem Amüsement an. »Du auch? Das ist doch nicht die Möglichkeit!«

Akadie legte keinerlei Verlegenheit an den Tag. »Wieso nicht? Was kann eine Marotte schaden? Ich habe Freude daran, so zu tun, als sei ich wieder jung.«

Die Ausgangssituation ist geschaffen, das Spielfeld bereitet, einige der Akteure benannt – die Handlung, die bei Vance häufig vor der Szenerie in den Hintergrund tritt, kann sich – auf die üblich exotisch-bunte Art und Weise – enfalten.

Ich hoffe, der geneigte Leser hat genauso viel Freude an der Lektüre wie ich!

Trullion: Alastor 2262 belegte 1974 bei den Locus Poll Awards den sechsten Platz, eine der besten Platzierungen Vances bei diesem Preis.

Nach Trullion folgen im Rahmen der Alastor-Sternhaufen-Trilogie die Bände Wyst: Alastor 1716 und Marune: Alastor 933 – in dieser Reihenfolge, denn den Aufzeichnungen der Vance Integral Edition (VIE) zufolge wurden beide Romane 1974 vollendet, wobei Wyst offenbar vor Marune fertig war. Jedes der drei Bücher ist in sich abgeschlossen und somit eigenständig lesbar. Gemeinsamer Hintergrund ist der Alastor-Sternhaufen, der seinerseits Teil des Gaeanischen Reichs ist.